Ist das Herz politisch (neutral)? Ein Dialog zwischen Michael Schmidt und Frank Schumann

…eine spannende Frage… – sie tauchte auf in unserem ersten gemeinsamen Treffen hinsichtlich der Organisation eines von Michael ersonnenen „HerzKreis-events“. Motivation dahinter Fragen, wie: Was könnte ein Beitrag sein, bzw. wie könnte eine heilsam-förderliche Begegnung aussehen zu individuell wie auch gesellschaftlich wahrgenommener Situation und Stimmung in der Welt.

Umwelt-/Klimakrise, Krieg(e), Migration, Inflation, sich abzeichnende bzw. wahrgenommene gesellschaftliche Spaltungstendenzen mit Effekten wie Zunahme von Populismus und Nationalismen etc. - all diese Phänomene des Zeitgeistes scheinen gegenwärtig beschleunigt zu eskalieren

Uns stellte sich die Frage: Was sagt unsere Herzintelligenz in dieser Zeit? Was kann ich zu einem Ganzen beitragen – wie kann ein kollektives Wir gestärkt werden? Wie könnte ein beherzter Blick darauf aussehen und welche Antworten könnten sich in einem Begegnen, einem gemeinsamen Bewegen im Herzen zeigen?

F.: Mir erscheint es als hilfreich, zunächst mal die beiden Begriffe, bzw. meinen mir persönlich Blick darauf zu (er-)klären:
Der Ursprung des Wortes `politisch` bedeutet, als Adjektiv von `Politik`, `die Politik betreffend` - `Politik` hat dabei seinen Ursprung im Griechischen, dem Begriff „(...) polītikós (πολιτικός) = den Bürger betreffend, (staats)bürgerlich, staatlich, staatsmännisch (…)“.
Aus persönlicher Sicht würde ich das aktuelle Verständnis von `Politik` stark vereinfacht als ein etabliertes Ordnungs-, Strukturierungs- und Handlungskonstrukt für Vergemeinschaft-ungen, die sich dann i.d.R. als Staaten konstituieren, benennen – und sich sodann damit als jeweils verschieden voneinander abgrenzen. Innerhalb der so gebildeten Staaten anvertraut die Gemeinschaft (Bevölkerung) das aktive Halten und Hüten dieser Ordnung und Struktur jeweils Stellvertreter:innen (Politiker:innen = Legislative) – diese werden dabei durch, im besten Falle unabhängig agierende, Judikative und Exekutive unterstützt bzw. komplettiert. Der Akt der Übertragung der Verantwortung auf Stellvertreter:innen selbst erfolgt dabei durch eine Abstimmung bzw. Wahlen (liberale/elektorale Demokratien) der Gemeinschaft oder aber auch in Form mehr oder weniger eigenmächtigen Nehmens der Verantwortung durch die dann selbsternannten Stellvertreter:innen selbst (elektorale/ geschlossene Autokratien) – dabei erscheint sich Demokratie als attraktivste und der menschlichen Natur zutrefflichste Organisationsform durchgesetzt zu haben.

Historisch gesehen könnte man Demokratie, bzw. deren Motiv als Einhegung von Macht mit gleichzeitiger Aussicht auf Selbstbestimmung beschreiben. Sie bildet somit den Grund-baustein hin zu gesellschaftlicher und damit auch persönlicher Freiheit  – ein Fundament einer Bewegung hin zu größtmöglicher Freiheit von gesellschaftlicher Angst und Sorge des Einzelnen und damit Sicherheit.

Welche Aufgabe könnte nun an dieser Stelle dem Herz zukommen? Das erscheint ja doch erstmal alles als sehr rational…?!

Nun, die aktuell weltweite Situation hinsichtlich der Legitimation von politischem Aufgestellt-sein und somit auch des Agierens von Politiker:innen – das sich je nachdem auch auf die jeweilige innere Struktur und Agieren eines Staates in die Welt hinein auswirkt – zeigt dabei folgendes: Aktuelle Studien verdeutlichen global einen Trend, dass insgesamt gesehen Demokratien als Ordnungs- und Strukturierungskonstrukt und damit Handlungsmotiv gegenüber Autokratien rasant abnehmen, während zweitere zunehmen. Damit einher geht auch ein Schrumpfen von eigentlich stabilisierenden Ordnungsfaktoren, wie rechtsstaatlich verankerten, funktionierenden und akzeptierten demokratischen politischen und damit gesellschaftlichen Institutionen. Der dabei am stärksten betroffene Bereich ist die Meinungs- und Pressefreiheit – welche noch dazu das Vertrauen in Politik sowie die Widerstandskraft demokratischer Zivilgesellschaften maßgeblich nährt…

…und gerade genau an dieser Stelle, wo es um das An-Vertrauen der Gemeinschaften, der Zivilgesellschaften, die von je Einzelnen gebildet werden, geht, wird es spannend bzw. mitunter spannungsreich – eröffnen sich aber auch Möglichkeiten-Räume.

Vertrauen und damit auch An-vertrauen findet meines Erachtens v.a. im Herzen statt – rational generierte Erfahrungen spielen selbstverständlich auch eine Rolle dabei, doch letztlich sind es `der Bauch` als intuitive Schaltstelle im menschlichen Organismus sowie v.a. `das Herz` mit seiner ihm eigenen `Herzintelligenz`, die einen, ja vermeintlich den, wesentlichen Beitrag zum vertrauen-können leisten. Die Intuition bezieht sich dabei im Wesentlichen auf Erfahrungen (damit i.w.S. auch gespeist durch die Ratio) und daraus sich ergebendes Wollen mit seinen Handlungsimpulsen, während die Herzintelligenz die Hüterin des `Wahren, Schönen und Guten` ist, Sitz einer kulturübergreifenden universellen Ethik. Das Herz verkörpert `das Ganze`. Wenn wir als Menschen auf unser Herz hören, ihm lauschen, dann ist dieses ein uns verlässlicher Kompass für (Mit-)Menschlichkeit.

M.: Unsere Herzintelligenz verfügt über die besondere Fähigkeit, sich ständig für das Ganze in den Dienst zustellen. Das Herz pulsiert ständig in zwei Kreisläufen, ist leer und voll zugleich. Es ist embryologisch vor den neuralen Strukturen, also vor unserem Gehirn entwickelt. Das Pulsieren der ersten kardialen Zellen wird mit dem Erdpuls, also mit der Erdschwingung in Beziehung gebracht. Das Herz liegt in der Mitte zwischen unserer Bauchintelligenz und dem „Brain“, also unserer mentalen Verarbeitung. Karlfried von Dürkheim bezeichnete das Herzzentrum als „Menschenmitte“, das mittlere zwischen der Erdmitte (Bauch/Hara) und der Himmelsmitte, dem Kopf. Diese Menschenmitte bildet ein resonantes Feld, wenn wir es so verstehen wollen, ein großes gemeinsames Herz. Dieses große Herz steht für die kollektive Weisheit, für die Essenz, auf die wir uns in der Sinnsuche letztlich kollektiv beziehen. Das ist im abstraktesten Sinne die Basis von kollektivem Bezug zur Essenz – von allen Religion. Es geht um den Bezug zum Ganzen, in dem wir unteilbar geborgen sind. Es geht auf der Ebene der Herzintelligenz nicht um Wissen, das in einem dualen Prozess von Erfahrung und Überprüfung entsteht. Herzintelligenz ist gelebte und erfahrbare Weisheit, die sich mit dem Ganzen in Beziehung setzt, ohne dass irgendetwas ausgeschlossen werden muss. Das Herz pulsiert im lebendigen Fluss und das ist seine Dynamik der Kraft. Auf der Ebene des Herzens, also der „Menschenmitte“, sind wir in ständigem Austausch und in ständiger Resonanz mit allen anderen. Wie Rilke sagte: „Jeder Tod, der hier gestorben wird, den sterbe ich auch“. In diesem Sinne sind wir in der Seele des Ganzen und schwingen und fließen ständig mit all den Prozessen mit.

F.: Um damit nun auf die eingangs gestellte Frage „Ist das Herz politisch?“ zurück zu kommen erscheint es mir sinnig (sowie sinnlich bzw. sinn-voll) bisher angeführte Überlegungen und Beobachtungen einander in Beziehung zu setzen.

Das Herz an sich könnte einen weitgreifenden Einfluss auf Politik haben und damit zutiefst politisch wirken. In Zeiten von KI und für den Verstand damit teils nicht mehr zu unterscheid-enden Wirklichkeiten in der Dichotomie von Un-/Wahrheit, die mittels Internet global zu verbreiten möglich sind, erscheint mir v.a. das Herz als maßgeblich einflussreich und entscheidend. In seiner ihm eigenen Qualität, mit seinen oben beschriebenen Fähigkeiten, die ich als verbindendes `transrationales Denken` bezeichnen möchte, ermöglicht das Herz ein Erfassen von Welt, das uns helfen kann, uns stabil in der Welt zu verorten. Und einer solchen Stabilität, einer individuell empfundenen, er- und gelebten Sicherheit braucht es, um sich der Welt an-zu-vertrauen. In Kontakt mit seinem Herzen zu kommen, das Lauschen und damit Wahrnehmen des Herzens, dessen, was es spricht wieder zu `kultivieren` als eigentlich genuine Fähigkeit des Menschen, erscheint mir als DER freiheits-ermöglichende, ja autonomste, bzw. demokratischste Weg – und dabei zugleich mittels der dem Herz zu eigen seienden Resonanzfähigkeit auch Verbindung stiftende. Resilienz in Reinst- und Höchstform! Wie kann KI da dann noch wirken und somit Meinung – hin zu empfundener Verunsicherung mit seinen Folgen für Demokratie – beeinflusst werden? (Meinungs-)Freiheit könnte dadurch möglich sein und bleiben – `zumindest` die im Herzen verankerte Individuelle.

„Der HerzKreis“ als Möglichkeit mit dem eigenen Herzen wieder vermehrt in Beziehung zu treten, das Lauschen wieder zu erleben und wieder zu (re-)kultivieren erkenne und benenne ich als einen entscheidenden über-individuellen Beitrag zu einem friedlichen Mit-Einander.

M: Nicht links nicht rechts - das Herz liegt in der Mitte des Ganzen und so seine politische Wirkung. Sie vermittelt, schafft Raum für die Kommunion, für die Zusammenkunft, in der Einigung möglich ist. Dies setzt voraus, dass wir uns ein Herz fassen und uns für die Perspektive der gegnerischen Seite öffnen und bereit sind sie ein-zu-nehmen. Diese grundmenschliche Fähigkeit ist die Basis jeglichen Dialogs. In diesen Zeiten von Krise und Krieg – mythologisch gesehen herrscht jetzt Saturn mit seinen zusammenziehenden Kräften und aus hinduistischer Perspektive wird Shiva von Erhalter zum Zerstörer. „What comes up, must come down“ – das Kippschwingungsprinzip unseres vegetativen Nervensystems lässt den sympathikotonen Höhepunkt der Erregung umschwingen in den Ruhezustand des parasympathischen Ruhetiefs. Auf der dialektischen Dynamik gesellschaftlicher Prozesse könnten wir davon sprechen, dass die immanente Hybris der kapitalistischen Exploitation von Mensch und Natur und das damit verbundene Dogma von ständigem ökonomischen Wachstum umschlägt in eine Phase von Dekonstruktion und Krisenhaften turbulenten Prozessen in Natur und globaler Welt.

Das Wort Dialog, abgeleitet vom griechischen Dialogos: Dia = (hin)durch & Logos = Wort/Bedeutung/Sinn - "Fließen der Worte" oder "Sinn-Fluss durch das Wort". Der Sinn-Fluss durch das Wort will zum Gegenüber fließen. Und dieses Gefälle, das es für den Fluss braucht, wird von beiden oder allen Seiten gewünscht. Der Unterschiedlichkeit aus ganzen Herzen zustimmen - das wird die Grundlage internationaler Politik werden in einem gesellschaftlichen Diskurs, der auf beherzter Dialogfähigkeit beruht.

Demokratie im global-politischen Sinne wird dann möglich, wenn wir das dialogische Prinzip zum Diskurs der freien Individuen in einer Gemeinschaft verstehen. Dialog ist nicht deli-gierbar, sondern existiert als Beziehungs- und Bindungsfähigkeit.
„Durch Dich fließt es mir zu. Und ich bin der Fluss die Wahrheit und das Licht für Dich, wie Du für mich. Und wir sind die Gemeinschaft miteinander die alle meint und zulässt welche Möglichkeiten des Menschseins sich realisieren wollen, solange sie im Dialog bleiben."
Unterschiedlichkeit und Diversität ist das Gefälle für den Fluss des Lebens.

F.: Sind wir, als menschliche Lebewesen, überhaupt Individuen? Existiert Individualität - das ˋhohe Liedˋ, das Mantra des Westens, der westlichen Kultur? Ist es nicht eher so, dass meine Individualität eine Dividualität ist? Allein schon im Atmen wird das Individuum zum Dividuum – ich verteile mich in die Luft, aus der ich mich dann wieder zusammensetze. Als In-Dividuum verteile ich mich ins Ganze. Ein immer-währender Prozess von Entstehen und Vergehen – in einer lebendigen Beziehung bezieht sich das Ich auf das Du, das Geben auf das Nehmen und es kann ein Wir bzw. das Ganze entstehen. Sich beziehen bildet das Gefälle in den Dialog hinein.

Ja, überhaupt! Dialog erscheint mir als der Weg – schaue ich auch hier wieder auf die Wortherkunft der üblichen (politischen) Kommunikations-Kultur, nämlich ˋDebatteˋ und ˋDiskussionˋ. So stammt das eine vom frz. ˋdébattreˋ (= (nieder-)schlagen) - zumeist in Diskussion das Ziel verfolgend, den eigenen (individuellen) vorgefertigten Standpunkt durchzusetzen. Diskussion, vom lat. ˋdiscutereˋ (= in Stücke schlagen) ist dabei das Mittel der Wahl - bezieht sich dabei jedoch durch den Blick auf ˋDIE Faktenˋ zumeist nur auf einen persönlichen Weltausschnitt, d.h. jeweilige Wirklichkeit. Ziel am Weg vorbei...?

Ausschlaggebend wird hier dann zumeist das Gefälle – ein Machtgefälle – Deutungs- und Definitionshoheit von Wahrheit und damit Fakten erhält häufig der-/diejenige mit der größeren Machtfülle. Ist das wirklich Fluss?

Im Dialog hingegen geht es nicht um die eigene Position, der Fokus liegt auf dem gemeinsamen Zentrum - der Mitte. Fluss wird hier als Austausch, frei von Bewertung verstanden. Es entsteht ein Bedeutungsfluss unter Versammelten. Grenzen des eigenen Wahrnehmens öffnen sich zugunsten eines gemeinsamen wahrnehmen-Raums, in/aus dem Neues entsteht – und damit emporquellen, evolvieren darf.

"Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." (Mt 18,20)

…dieser kurze Dialog-Einstieg als Einladung, uns zu versammeln und in einen gemeinsamen Dialog zu kommen…